Ich hab während der Oberstufenzeit drei Jahre neben einem Mitschüler gesessen, der schwul war (und wohl noch ist. Ich denk er lebt noch ;-) ) Wenn man sich so diese Videos anguckt dann überrascht es mich immer wieder, wie ich darüber denke. Für mich war er immer schwul. Das fing damit an dass er Ralph König gelesen hat und in einer Mädchenclique durch die Gegend lief. Was ich mochte war immer, dass er kein „schwuchteliges“ Verhalten an den Tag gelegt hat sondern ein „normales“. Ich denke jetzt gehen wieder die Augenbrauen hoch und es kommen ein Haufen Mädchen um die Ecke gesprungen und herrschen mich an „Sowas sagt man nicht“ und „Du bist ja selbst Teil des Problems“.
Ich denke das stimmt. Irgendwo. Ich habe ihn immer behandelt wie jeden anderen Mitschüler auch. Ich habe mich auch als er sein Coming-Out hatte weiterhin so ihm gegenüber verhalten. Ich habe mich genau so über ihn lustig gemacht wie über andere. So wie es meine Art ist. Ich hab ihn mit den Dingen aufgezogen, die ihn betreffen. Seine Haare, seine Klamotten… seine sexuellen Vorlieben… nein Moment, eigentlich stimmt das nicht. Eigentlich habe ich alle Heteros damit aufgezogen, dass sie vielleicht schwul sein können. Ihn habe ich dagegen NICHT damit aufgezogen, dass er eventuell hetero ist. Von daher denke ich ist es genau das „Problem“. Einen Homosexueller wird auch das Aufziehen der anderen Mitschüler persönlich treffen. Er wird denken „Alle Menschen hassen Schwule“.
Dabei ist das absoluter Käse.
Denn wenn man es genau nimmt haben MICH auch viele Leute für schwul gehalten. Weil ich in der Schule nie eine Freundin hatte. „Der kann ja nur schwul sein“. Für mich war das ehrlich gesagt nie ein Problem. Ich wusste, dass es immer die Idiotie der Anderen war, die MICH als Menschen nicht verstanden haben. DAS war das Problem. Ich hatte nie eine Freundin, weil mir bewusst war, wie unsicher, selbstsüchtig und eigensinnig Menschen sind. Weil ich eine „richtige“ Beziehung haben wollte und nicht nur Sex. Oder „irgendwas“ – damit bloß keiner sagt, dass ich schwul bin.
Komischerweise bin ich dann doch bisweilen Mädchen hinterher gerannt, die genau das verkörpert haben. Mich nicht kennen. Nur an sich selbst denken. In der Vergötterung durch einen Jungen aufgehen. All sowas halt.
Für mich ist das Video, das ich oben verlinkt habe, auch sehr ausdrucksstark. Das „It gets better“-Programm ist entstanden, weil sich in den USA unzählige homosexuelle Jugendliche umbringen. Jeden Tag. Diese Videos sind meiner Ansicht nach sowas wie ein Heftpflaster. Weil sie sagen „Hey, bring Dich nicht um. Es wird schon besser werden“.
Aber das ist leicht gesagt. Woran erkennt man Akzeptanz darin, dass man „ganz normal wie alle anderen aufgezogen wird“? Ich bin heute noch der Ansicht, dass ich nie ein Freund meines homosexuellen Mitschülers war. Vielleicht liest er das hier ja mal und findet heraus, dass ich es nie „so gemeint“ habe. Aber nein halt, das klingt wie eine Entschuldigung. Ich habe es so gemeint. Ich wollte ihn ärgern wie alle anderen. Wenn er mich deshalb nicht mochte – auch gut. Wenn er mich nur nicht mochte, weil ich gemein war an sich – noch besser ;-)
Das, was mich immer hervortreten ließ und eventuell immer noch hervortreten lässt ist, dass ich einfach meine Meinung sage. Und damit können viele absolut nicht umgehen. Weil ansonsten immer Anpassung angesagt ist. Klappe halten. Hinten im Klassenzimmer sitzen. Wenn der Automat die Pfandflaschen nicht nimmt nicht den Marktleiter verlangen. Wenn sich jemand in der Schlange vordrängelt die Klappe halten.
Bloß nicht auffallen. Bloß nicht anders sein. Bloß nicht schwul sein.
Für mich war es nie ein Thema, mich umzubringen. Ein Grund hierfür war, dass ich immer mit jemandem reden konnte. Mein Vater war immer für mich da und ich hatte ein, zwei Freunde, die mir zuhören, wenn ich Sorgen hatte.
Deshalb kann dieses „It gets better“ Programm meiner Ansicht nach auch ziemlich in die Hose gehen. Wenn die Videos keinen vernünftigen Inhalt haben. Viele dieser Videos sagen nichts dazu, warum und WIE es denn besser wird. Und deshalb mag ich auch nur ein paar dieser Videos. Diejenigen nämlich (wie auch das von Apple) die darauf eingehen, dass man sich selbst akzeptieren sollte. Dass man sich Freunde anschaffen muss. Ein soziales Umfeld. Oder dass man sich selbst mögen sollte, weil einem dann der Rest der Welt scheißegal sein kann. Weil man sein eigener Standard ist, und weil es einen nicht juckt, wenn man angefeindet wird.
Vielleicht kann ich dann einem Mann, der sich schwuchtelig verhält, in Zukunft dann ganz normal sagen, dass ich es nicht ab kann, wenn er am rum-tucken ist und mich das annervt, ohne dass er einen Weinkrampf bekommt oder mich alle Konformisten drumrum als Schwulenhasser bezeichnen. Hoffentlich ist es dann irgendwann endlich ganz normal jemandem zu sagen, dass er nervt, weil er schwul ist. Genau wie Ed Hardy-Träger. Wie Preußen-Münster-Fans. Wie BWL-Studenten. Wie Proleten. Wie Techno-Fans.
Wenn schwul sein so normal ist, dass man sich „ganz normal“ darüber aufregen kann, wenn jemand damit nervt.
Schwul (oder lesbisch) zu sein ist für mich seit mindestens zwanzig Jahren normal. Es wäre wirklich schön, wenn das im Rest der verbohrten, selbstgerechten, eigensinnigen und affigen Gesellschaft endlich ankommen könnte, homosexuell oder nicht.